Der Wöhlertgarten ist Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet worden. Nach derzeitigen Erkenntnissen wurde er im Jahr 1913 bezogen. Ursprünglich umfasste die Wohnanlage 14 Häuser und Hinterhäuser, ein Haus wurde während des Krieges zerstört und zwei Hinterhäuser so stark beschädigt, dass sie Anfang der 50er Jahre abgerissen werden mussten.
Der Wöhlertgarten erlebte in den rund 100 Jahren seiner Existenz sechs Regime. Erbaut im Kaiserreich, folgten 1918 die Weimarer Republik, 1933 bis 1945 die faschistische Diktatur des Nationalsozialismus, nach Kriegsende stand die Anlage unter Hoheit der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), ab 1949 befand er sich in der DDR und seit 1990 in der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente, die vergangene Zeiten belegen, haben wir bisher nur wenige gefunden. Die frühesten Fotos stammen aus dem Juni 1938.
Das Haus 10/5 fiel dem Bombenhagel zum Opfer. Mit Kriegsende richtete die Rote Armee eine Kommandantur im Wöhlertgarten ein. Aus Zeitzeugenberichten geht hervor, dass Anfang Mai 1945 ein Panzer auf den Hof fuhr. Zuerst war die Kanone auf die Häuser 10/3 und 10/6 gerichtet, wenige Tage später wurde der Panzer gedreht und in Richtung Wöhlertstraße ausgerichtet. In eine Erdgeschosswohnung zogen Pferde ein. In den folgenden Jahren normalisierte sich auch das Leben der Wöhlertgärtner wieder.
Der Wöhlertgarten lag im besetzten Berlin an der Grenze von sowjetischem und französischem Sektor. Mit dem Mauerbau im Jahre 1961 bis zur Wende 1989 war er im Norden und Osten von der Mauer eingeschlossen. Lange gab es davon keine Bilddokumente.
An einem der letzten warmen Tage des Traumsommers 2018 bat ein Fremder einige Wöhlertgärtner darum, die Haustür der Pflugstraße 10/6 aufzuschließen. Da fragen Einwohner eines 300-Seelen-Dorfes, was der Wöhlertgarten nun eben mal ist, schon nach dem Warum. Seine Antwort war erst einmal verwirrend. Der Mann wollte zur Gartenstraße, was nicht geht, denn im Weg steht eine Mauer. Nein, nicht die bekannte Berliner, sondern eine, die das S-Bahn-Gelände vom Wohngebiet trennt. Doch Mauer war offensichtlich das Stichwort. Der Unbekannte holte einige Fotos aus der Tasche – Mauerfotos. Die hatte er als junger Mann im Oktober 1980 fotografiert und jetzt suchte er nach den Gebäuden, die er damals hinter der Berliner Mauer aus Richtung Westen aufgenommen hatte. Keine Frage, die Tür wurde geöffnet und er war schwer begeistert: Jedes Fenster auf seiner Aufnahme war an der Hinterfront der Pflugstraße 10/6 am alten Platz. Nun blieb uns nur noch, ihn um die Aufnahmen zu bitten, schließlich dokumentieren sie einen Teil der Geschichte des Wöhlertgartens. Harald Sieber aus Rheinhessen willigte ein und nun können wir nach jahrelanger Suche wenigstens aus östlicher Richtung von der Gartenstraße zeigen, wie eng der Wöhlertgarten von der Berliner Mauer eingeschlossen war. Fotos, die das Gebiet aus nördlicher Richtung von der Liesenstraße zeigen, fehlen noch.
Im Laufe der Zeit wechselten die Besitzer des Wöhlertgartens fast so oft wie die Staatsformen. Als der bis dato letzte Besitzer des Wöhlertgartens, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte im Zuge der Reprivatisierung nach der Wende in der DDR den Wöhlertgarten verkaufen wollte, missachtete sie das im Einigungsvertrag gesetzlich verankerte Vorkaufsrecht der Mieter. Diese nutzten den Umstand und schlossen sich am 17. Juni 1999 zu einer Genossenschaft zusammen.
Mit Hilfe von Fördermitteln und weitgehend günstigen Krediten konnten die nun noch elf Häuser des Ensembles, die in desolatem baulichen Zustand waren, feinfühlig rekonstruiert werden. Noch vorhandene Originale, zum Beispiel Öfen, Türen, Klinken und Blenden oder Stuck, wurden erhalten.
Die Genossenschaftsgründung und auch das Genossenschaftsleben gingen in den ersten Jahren nicht ohne Probleme ab, hinzu kamen bereits nach relativ kurzer Zeit erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, die vor allem aus der Neuordnung der Berliner Bezirke und des damit fallenden Mietspiegels resultierten. Nach sieben Jahren intensiver Bemühungen des ehrenamtlichen Vorstandes konnte das Problem gemeinsam mit dem Senat und den Kredit gebenden Banken ausgeräumt werden. Mittlerweile steht die Genossenschaft wieder auf solidem wirtschaftlichen Boden.